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Das Buch

08.05.2024 - Artikel

Unverhofft kommt oft: Mit Egils Levits sollte nach der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen ein Exil-Lette zum ersten Botschafter Lettlands in Deutschland werden, der damit selbst eigentlich nicht wirklich gerechnet hatte. „Ich habe einen Anruf vom Außenminister Juris Jurkāns erhalten, in dem er mir mitteilte, dass ich zum Botschafter in Deutschland ernannt worden sei – ohne mein Wissen“, erzählt der heutige lettische Staatspräsident Egils Levits. Der in der Bundesrepublik ausgebildete Jurist war zwar bereits zuvor als Berater des lettischen Außenministeriums tätig gewesen – und hatte in dieser Funktion auch an der Zeremonie zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und den baltischen Staaten am 28. August 1991 in Bonn teilgenommen. Dennoch kam die Ankündigung für ihn aus heiterem Himmel. „Ich habe das so nicht erwartet und war durchaus etwas überrascht“, erinnert sich Levits. Seine Bitte nach etwas Bedenkzeit blockte Jurkāns zunächst ab. Schließlich sei die Ernennung bereits erfolgt. „Ich habe dann aber doch ein paar Tage zum Nachdenken erhalten und am Ende ‚Ja’ gesagt.“ Ähnlich wie in Deutschland wurden auch die Botschaftsposten in anderen Ländern, wie etwa den USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und Schweden mit dort bereits lebenden Exil-Letten oder Bürgern lettischer Abstimmung besetzt. „Diese Entscheidungen wurden aus sehr pragmatischen Gründen getroffen. Allein schon aus finanziellen Gründen war es damals für Lettland kaum möglich, jemanden zu entsenden“, erzählt Levits. Deshalb setzte man jeweils auf Landsleute vor Ort. Nach seiner Zusage wurde Levits zunächst zum Geschäftsträger und lettischen Bevollmächtigen im baltischen Informationsbüro in Bonn ernannt, wenig später übergab er am 9. Juli 1992 sein Beglaubigungsschreiben an Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Das Schreiben hatte er drei Tage zuvor vom damaligen lettischen Staatsoberhaupt Anatolijs Gorbunovs in Riga erhalten. Für Lettland als kleines Land sei die Außenpolitik ein sehr wichtiger Bereich, betonte Levits nach Erhalt des Dokuments vor der lettischen Presse. Die Beziehungen zu Deutschland nähmen dabei einen besonderen Platz ein. „Dieses Land hat in der Geschichte Lettlands immer eine große Rolle gespielt“, sagte er nach einem Bericht der Tageszeitung Diena.1 Zweite Heimat Deutschland Diese Aussage traf auch auf ihn persönlich zu: Zum Zeitpunkt seiner Ernennung hatte Levits den größten Teil seines Lebens in der Bundesrepublik verbracht, in die er 1972 mit seinen Eltern ausgewandert war. „Deutschland hat mich und meine Familie aufgenommen, nachdem wir Lettland wegen des sowjetischen Besatzungsregimes verlassen mussten“, schildert Levits seine Lebensgeschichte. Als damals 17-Jähriger besuchte er das lettische Gymnasium in Münster, an das er später auch noch einmal als Lehrer zurückkehrte und die Fächer Politik und Geschichte unterrichtete. Die auch von Bundesregierung geförderte Schule war damals das wichtigste Zentrum der lettischen Kultur und Bildung in der freien Welt. 66: Egils Levits, erster lettischer Botschafter nach Wiederaufnahme der Beziehungen © Uldis Briedis Nach seinem Abitur in Münster studierte Levits zunächst in Hamburg Chemie, später dann Jura und Politikwissenschaften. „Ich bin, wie man so sagt, ein deutscher Volljurist“, umschrieb sich der lettische Staatschef selbst einmal. Dies verbindet ihn mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier, zu dem Levits ein enges und freundschaftliches Verhältnis pflegt. Beide hegen bis heute eine gewisse Faszination für die Rechtswissenschaft und betonen regelmäßig die Bedeutung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit. Bei ihren Treffen sprechen sie häufig länger miteinander, als es im straffen Zeitplan ursprünglich vorgesehen war.

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Lehrer und Schüler „Herr Kariņš war mein bester Schüler in Polititk und Geschichte, und so ist es bis heute,“ sagte Levits einmal mit einem Schmunzeln auf den Lippen.


„Münster hat meine lettische Identität auf ewig gefestigt “ Zum Ruhm des lettischen Gymnasiums in Münster tragen besonders ihre ehemaligen Schüler bei. Zwei bekannte Absolventen erinnerten sich anlässlich des 75. Jahrestags der Schulgründung in der lettischen Tageszeitung Latvijas Avīze an ihre Zeit an der Lehranstalt: Egils Levits: „Ich war zweimal am lettischen Gymnasium in Münster - das erste Mal als Schüler, das zweite Mal als Lehrer. Als ich mit meiner Familie nach Deutschland kam, wurde meine Hochschulreife, die ich zuvor in Riga erworben hatte, nicht als ausreichend angesehen, um meine Ausbildung an einer deutschen Universität fortzusetzen. Daher habe ich ein Jahr in Münster studiert und mit dem dort erlangten Abitur meine Studentenlaufbahn beginnen können. In diesem einen Jahr entdeckte und beteiligte ich mich aktiv in der Welt der Exil-Lettinnen und Letten, die von ihrem Wesen her ein alternatives, freies Lettland war, eine Fortsetzung des unabhängigen Lettlands außerhalb des okkupierten Lettlands. Ich erinnere mich, dass ich viele Bücher in der Schulbibliothek gekauft habe. Besonders solche über Geschichte und Politik, einschließlich lettischer Literatur, und oft las ich bis tief in die Nacht, um mehr darüber in Erfahrung zu bringen, was für mich zu dieser Zeit in Lettland nicht zugänglich war. Zehn Jahre später kehrte ich zur Schule zurück und unterrichtete als Lehrer kurzzeitig Politik und Geschichte.. “ Krišjānis Kariņš: „Ich bin in den USA aufgewachsen. An der University of Western Michigan gab es ein lettisches Sprachstudienprogramm, wo man eine “Auffrischimpfung 191.: Egils Levits (m.) als Lehrer am lettischen Gymnasium in Münster. Quelle: Archiv der Lettischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. im Lettischsein„ erhalten konnte. Der andere derartige Ort war das Gymnasium in Münster. Ich habe die 12.Klasse in Amerika abgeschlossen und bin dann nach Münster in die 13. Klasse gegangen. Aus akademischer Sicht war die Schule sehr gut. Es herrscht dort eine sehr patriotische, sehr dynamische Atmosphäre. (...) Münster hat meine lettische Identität auf ewig gefestigt. Die Freundschaften, die dort in der Jugend entstanden sind, waren sehr langlebig. [...] Es ist nicht verwunderlich, dass viele nach der Erfahrung in Münster ihren Weg nach Lettland gefunden haben. Wir haben erkannt, dass wir diejenigen sind, die den lettischen Geist weitertragen müssen.

Albert Caspari – Chronist der frühen Jahre


Als Mitarbeiter des Naturschutzbundes im Bereich des Nationalparks Wattenmeer war es eine Umweltkonferenz in Wismar, die Albert Caspari im Sommer 1990 den Kontakt mit Estland, Lettland und Litauen brachte. Im Anschluss an die Konferenz lernte Caspari drei junge Balten kennen, die Verbindungen in den Westen suchten. Man war sich sympathisch, ein erster Besuch in Lettland folgte bereits kurz darauf. Inspiriert vom Freiheitswillen der Lettinnen und Letten beteiligte sich Caspari an einem Versuch, in Bremen ein “Informationszentrum Baltische Staaten„ zu gründen. Als sich in dieser Zeit auch Lettland seine Unabhängigkeit zurückerkämpfte, formierte sich in Bremen der Verein INFOBALT, der sich alsbald daran machte, einerseits selbst Kooperationsprojekte zu initiieren, und andererseits netzwerkartig Kontakte zu gleichgesinnten Deutschen mit Kenntnissen zu den baltischen Staaten zu knüpfen. Bis 2003 wurde die Zeitung “Infoblatt baltische Staaten„ herausgegeben, mit Berichten über Kooperationen, aktuelle Politik und den Alltag in Estland, Lettland und Litauen.

Eine mehrjährige Projektbetreuung für eine deutsche Stiftung ermöglichte Caspari, regelmäßig Lettland und insbesondere Riga zu besuchen. Ab dem Jahr 2000 initiierte eine Projektgruppe des Vereins INFOBALT auch die Radiosendung “Baltische Stunde„, für die Caspari viele Gespräche und Interviews führte. Die Entwicklung in Lettland, aber auch Veranstaltungen zwischen Deutschland und Lettland dokumentierte Caspari durch seine Fotos: von Lettlands frühen Auftritten bei der ITB Berlin und der Hannover-Messe, der Buchmesse in Leipzig 1997 mit dem Schwerpunkt “Baltische Staaten„, die EXPO 2000, Rigas 800-Jahrfeier, der Eurovision 2003 in Riga bis zu den Volksabstimmungen zum EU-Beitritt.

Abb: Quelle: Verein Infobalt

Diese inzwischen historischen Fotos machen Caspari auch zu einem einzigartigen Chronisten der frühen Jahre um die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Deutschland und Lettland. Seine Fotos wurden 2008 im Rahmen des OVacija-Kulturjahrs in Deutschland und 2014 auch in Riga gezeigt. Die “Baltische Stunde„ gibt es heute noch, oft mit Gästen aus Estland, Lettland oder Litauen, aktuellen Buchvorstellungen und Infos aus Kultur und Gesellschaft. Dazu kommen Blogs, eine Facebook-Gruppe und ein umfangreiches Vereinsarchiv, dessen Materialien derzeit noch auf eine wissenschaftliche Auswertung warten.

Hören Sie doch mal rein!

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Gemeinsame Verfassungstradition Die Demokratie hatte es nicht immer leicht in der wechselvollen deutschen Geschichte. Ihre historischen Grundlagen wurden 1919 von der Nationalversammlung in Weimar gelegt. Der Tagungsort gab auch der Weimarer Republik ihren Namen, die nur 14 Jahre bestehen sollte und abgelöst wurde vom dunkelsten Kapitel in der Geschichte Deutschland. Dennoch wurde 1919 eine Entwicklung mit weitreichenden Auswirkungen angestoßen – auch für Lettland. Daran erinnerte auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Festrede zum 100. Jubiläum der lettischen Verfassung in Riga. Die Weimarer Verfassung, betonte Steinmeiner, sei fest in der europäischen Rechtstradition verwurzelt, zugleich aber modern und zukunftsweisend gewesen. Deshalb habe sie nach dem Ersten Weltkrieg auch vielen anderen neu entstandenen oder zu Republiken umgeformten Staaten als Vorbild gedient. “Besonders groß war der Einfluss auf Ihre Verfassung, auf die Satversme, auch wenn die Verfassunggebende Versammlung hier in Riga damals durchaus eigene Wege suchte und fand„, sagte der Bundespräsident. In Deutschland wie in Lettland sei damals zum ersten Mal in der Geschichte das Prinzip der Volkssouveränität festgeschrieben worden und bis dahin unbekannt gesellschaftliche und politische Spielräume entstanden. “Die Verfassungen der Weimarer Republik und der Republik Lettland schufen damit einen Raum des Rechts, in dem demokratische Selbstbestimmung und individuelle Freiheit verwirklicht und immer wieder aufs Neue austariert werden sollten und konnten„, würdigte Steinmeier die Regelwerke von 1919 und 2022, in denen auch bereits das Frauenwahlrecht verankert wurde. Auch heute bilden die Verfassungen in beiden Ländern in den Worten von Steinmeier wieder den “Rahmen für ein gleichberechtigtes und friedliches Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion, Kultur und politischer Überzeugung.„ In Deutschland bestimmt das Grundgesetz, wie Bürger und Staat zueinander stehen und steht seit 1949 über allen anderen Vorschriften. Noch immer streiten Rechtsexperten aber darüber, ob es auf Grundlage der Weimarer Reichsverfassung konzipiert wurde oder im ausdrücklichen Gegensatz zu ihr. In Lettland dagegen ist die Sache einfacher.“Nach der Selbstbefreiung in den 1990er Jahren haben Sie in Lettland ihre alte Verfassung an manchen Stellen geändert und angepasst„, sagte Steinmeier. “Sie ist eine der ältesten noch geltenden Verfassungen der Welt, aber sie ist weder verstaubt noch verrostet, ganz im Gegenteil: Sie ist eine sehr lebendige Verfassung, offen für gesellschaftlichen Wandel, und ihr demokratischer Geist ist nach wie vor hoch inspirierend.„

Seine Verdienste sind umfangreich und hochanerkannt: Der deutschbaltische Jurist, Politikwissenschaftler und Historiker Dietrich A. Loeber (1923–2004) spielte eine entscheidende Rolle bei der Wiederherstellung Lettlands als Rechtsstaat und beteiligte sich mit viel Herzblut an der Entwicklung eines funktionsfähigen lettischen Rechtswesens nach der wiedererlangten Unabhängigkeit 1991.“Lettland schätzt die Arbeit von Professor Loeber für Lettland sehr und wird ihm für seine Loyalität gegenüber seiner Heimat immer dankbar sein„, würdigte der ehemalige Staatspräsident Egils Levits den Rechtsgelehrten am 4. Januar 2023 bei einem Symposium im Präsidentenpalast. Damit erinnerte Lettland an den 100. Geburtstag von Loeber, der in Riga geboren wurde. Wie die meisten Deutschbalten wurden Loeber und seine Familie 1939 als Folge des Hitler-Stalin-Paktes nach Deutschland “umgesiedelt„. Dort studierte er nach dem Krieg Jura, verfasste bedeutende völkerrechtliche Schriften zu den baltischen Staaten und unterstützte Ende der 1980er Jahre aktiv das Streben Lettlands und der beiden anderen Baltenstaaten nach Freiheit. Unvergessen ist bis heute, dass Loeber in Estland bereits 1988 und 1989 öffentliche Vorträge über den Hitler-Stalin-Pakt und den Geheimen Zusatzprotokollen hielt, die damals offiziell von sowjetischer Seite noch geleugnet wurden. Seine Lehrtätigkeit setzte er auch nach der wiedererlangten Unabhängigkeit fort – in Lettland konnte eine ganze Generation von Juristen vom Wissen und der Expertise Loebers profitieren. Loeber war einer der ersten Deutschbalten, die – unter aufmerksamer Beobachtung durch den KGB – nach dem Zweiten Weltkrieg die Sowjetrepublik Lettland besuchten und gehörte auch zu den ersten Ausländern, denen am 28. August 1991 am Flughafen Riga ein Einreisevisum für die Republik Lettland ausgestellt wurde. “Ich bin schon mehrmals als Besucher hier gewesen, aber heute ist ein historischer Tag„, sagte er damals der Tageszeitung Diena. 1 Seine enge Beziehung zu seinem Heimatland bestätigt auch eine andere historische Episode: Mitte 1954 wurde ihm von der lettischen Exil-Botschaft in London ein lettischer Pass ausgestellt, den Loeber beantragt hatte. Diese Entscheidung im Einklang mit der Doktrin der Staatskontinuität sollte später die Ausgestaltung des lettischen Staatsbürgerrechts mitprägen. Einen maßgeblichen Anteil hatte Loeber auch an der Gründung des deutsch-lettischen Kulturvereins Domus Rigensis, der seinen Sitz im Mentzendorff-Haus in der Rigaer Altstadt hat. Das historische Gebäude gehörte einst den Großeltern von Loeber, der ein lebenslanges Wohnrecht in dem Haus genoss und für den es heute ein Gedenkzimmer im Obergeschoss gibt.

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Apkalna ist die Titularorganistin der Hamburger Elbphilharmonie – und damit Herrin über die 4765 Pfeifen.

Die große Idee von der kleinsten Kamera stammte von einem Deutschbalten aus Riga: Walter Zapp erfand vor gut 100 Jahren mit der Minox die Präzisionskamera für Dokumentenfotos und heimliche Schnappschüsse. Sie gilt als analoges Wunderwerk der Technik: Walter Zapp (1905-2003) fertigte eine kompakten Kleinstbildkamera, die kleiner als eine Zigarre und leichter als ein Feuerzeug war. Bis heute ist die winzige, aber leistungsstarke Minox mit ihrem zukunftsweisenden Design ein Kultobjekt für Fotografen. Obwohl die Kamera nicht mehr produziert wird, mangelt es nicht an Enthusiasten, die trotz des Siegeszugs der Digitalfotografie immer noch mit ihr arbeiten. Trotz geringster Abmessungen lieferte die anfangs in Riga und später in Hessen gefertigte Minox gestochen scharfe Aufnahmen – die fingernagelgroßen Negative erlaubten beliebige Vergrößerungen. Die kompakte Kamera avancierte daher auch zum unverzichtbaren Handwerkszeug von Spionen – und zum perfekten Requisit für Agentenfilme. Doch dessen Erfinder, der mit der Minox zu einem Pionier der Fotografie wurde, war davon nicht angetan. Der Ruch von Geheimdienst und Verrat hatte Zapp zeitlebens nie behagt. Zapp hatte 1922 die Idee, eine Kleinstbildkamera zu erfinden. Damals begann der 1905 in Riga geborene Sohn einer deutschbaltischen Familie eine Ausbildung als Fotograf im benachbarten Estland, wohin die Familie nach seiner Schulzeit übergesiedelt war. Seinerzeit waren noch schwere Plattenkameras verbreitet, die zum Unmut des schmächtigen Lehrlings auf hölzerne Stative gewuchtet werden mussten. Deshalb kam Zapp die Idee einer Kleinstbildkamera, die formvollendet “in der geschlossenen Hand verschwindet.„ Doch die Verwirklichung des Vorhabens war schwierig. Durch finanzielle Engpässe immer wieder gebremst, sollte es noch mehrere Jahre dauern, bis die Minox zum Patent angemeldet werden konnte. 1936 gelang dem jungen Konstrukteur der Bau eines funktionsfähigen Prototyps – der “Ur-Minox„ mit optimaler Form: Klein und handlich, aber auch gut und einfach zu bedienen. Auch das staatliche Elektrogerätewerk VEF (Valsts Elektrotechniskā Fabrika) in Riga überzeugten die Probeaufnahmen. In deren Montagehallen lief zwei Jahre später die erste Minox vom Band und ging in einer überarbeiteten Version mit dem Filmformat 8 x 11 Millimeter am 12. April 1938 in Serienfertigung. Wenig später kam die Minox zusammen mit dem passenden Zubehör in den Handel – und wurde trotz eines stolzen Preises prompt zum Kassenschlager. Spielzeug für Spione Die erste Kamera wurde an einen Diplomaten verkauft. “Ich verstand leider sofort, was das im Klartext heißt: Spionage!„, erinnerte sich Zapp Jahrzehnte später in einem Interview. Bei der Konstruktion der Minox hatte daran gar nicht gedacht, sondern alles nur auf Kleinheit und Miniaturisierung abgestellt. Doch seine “Spionagekamera„ fand reisenden Absatz: Geheimdienste wie CIA und KGB nutzten den Miniapparat für operative Zwecke. Und auch in der Filmwelt wurde die Kamera fleißig genutzt – die Minox tauchte in gut 40 Filmen auf. Bis Mitte des Zweiten Weltkrieges wurden in der VEF-Fabrik etwa 17 000 Exemplare gefertigt und weltweit vertrieben. Etwa 2 000 davon waren nach dem sowjetischen Einmarsch in Lettland mit “Made in the USSR„ gekennzeichnet. Zapp war zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Ur-Minox, dem Holzentwurf und einem in Riga produzierten Serienmodell in der Jackentasche nach Deutschland geflüchtet. Dort arbeitete er von 1941 bis 1945 bei der AEG in Berlin. Nach dem Ende der Kriegswirren wagte der Autodidakt einen Neuanfang. Mit einem Geschäftspartner gründete Zapp im September 1945 die Minox GmbH im mittelhessischen Wetzlar. Als finanzielle Teilhaber kamen kurze Zeit später zwei Zigarrenfabrikanten hinzu, Ende 1948 erfolgte der Umzug in die neue Fertigungsstätte in Heuchelheim bei Gießen. Doch bereits zwei Jahre später kam es in der ungleichen Partnerschaft zum Bruch mit den Neugesellschaftern. Zapp wurde ausgebootet und verließ die Firma – ohne Patent. Am weltweiten Erfolg seiner in verschiedenen Ausführungen gut eine Million Mal verkauften Minox und anderer Modelle hatte der zwar viel technisches Talent, aber nur wenig Geschäftssinn besitzende Erfinder deshalb keinen wesentlichen Anteil mehr. Mit seiner Familie zog er in die Schweiz, wo er sich mit kleineren Aufträgen über Wasser hielt und 2003 verstarb. Späte Rückkehr nach Riga Wenige Jahre vor seinem Tod kehrte Zapp in den 1990er Jahren noch einmal als Berater und Konstrukteur zu Minox zurück. Zur Jahrtausendwende bereiste er nach 60 Jahren erstmals auch wieder seine alte Heimat. Bei Besuchen in Riga und Tallinn wurde der damals 95-Jährige für sein Lebenswerk ausgezeichnet. In Lettland erhielt Valters Caps, wie er auf Lettisch heißt, die Ehrendoktorwürde der Akademie der Wissenschaften, die auch alle zwei Jahre den Walter-Zapp-Preis an lettische Erfinder vergibt. Auch sonst wird das Andenken an Zapp in Lettland hochgehalten. Im Fotomuseum in der Altstadt von Riga widmet sich ein Teil der Dauerausstellung dem Erfinder und der Entstehungsgeschichte der Minox, die als bedeutendste Errungenschaften Lettlands in der Fotoindustrie gilt. Gezeigt werden die Pläne für die Serienfertigung der Kleinstbildkamera bei VEF. Aus deren ehemaligem Gelände wiederum ist ein Start-Up Hub geworden, wo man in der Minox Bar Cocktails und eine Ausblick über Riga genießen kann.

Kein Riga-Besucher kann sich dem besonderen Charme der Stadt entziehen. Bei vielen deutschen Gästen stand ein Gang durch die Altstadt von Riga oder das Jugendstilviertel auf dem dicht gedrängten Programm – zum Verdruss des Protokolls durchaus schon mal spontan oder länger als vorgesehen. So konnte sich etwa auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (1961-2016) im Juni 2010 bei einem Spaziergang rund um die Alberta iela kaum sattsehen an den prachtvollen Bauten des Art Nouveau. “Riga ist aus meiner Sicht eine der schönsten Städte Europas„, sagte er bewundernd – und wurde wie viele Touristen in Riga zum Hans Guck-in-die-Luft. Den Kopf in den Nacken zurückgelegt, schwärmte er zeitvergessen und begeistert von den üppigen Fassaden der nicht ohne Grund zum Unesco-Weltkulturerbe zählenden Jugendstilhäuser. Mit ihren filigranen Details, ausladenden Verzierungen und dekorativen Verschnörkelungen sind sie ein wahrer Augenschmaus nicht nur für Architektur-Liebhaber. Aber Achtung: Genickstarre! Sehr angetan war Westerwelle auch von einem Besuch im ethnografischen Museum.


Geschichte zum Anfassen: Das Lettische Ethnographische Freilichtmuseum

Im Lettischen Ethnographischen Freilichtmuseum können Interessierte erfahren, wie die Menschen vor Hunderten von Jahren lebten und arbeiteten – es ist eines der größten und ältesten seiner Art in Europa. Zu sehen gibt es weit über 100 detailgetreu rekonstruierte Bauten aus den vier historischen lettischen Gebieten – Kurland, Livland, Semgallen und Lettgallen – vom Ende des 17. Jahrhunderts bis Ende der 1930er Jahre. Auch zahlreiche ausgestellte Haushaltsgegenstände und Werkzeuge machen Lettlands Historie in dem idyllisch am einem See im östlichen Stadtrand Rigas gelegenen Museum im wahrsten Sinne des Wortes greifbar. Davon konnte sich am 23. August 2012 auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle überzeugen, der auf Einladung von Gastgeber Edgars Rinkēvičs zusammen mit seinen baltischen Amtskollegen das Gelände und die Ausstellung besuchte.

Abgeordneter in den vier ersten Parlamenten und vielgelesener Publizist: Paul Schiemann war in den 1920er und 1930 Jahren zweifellos der einflussreichste deutsche Politiker in Lettland.

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Die Legenden, Abenteuer und Märchen des “Lügenbarons„ Münchhausen kennt wohl fast jeder. Einige davon soll er – keine Lüge – in Dunte erlebt haben. Sechs Jahre lebte er dort mit seiner ersten Frau. Als märchenhafter Erzähler, Schwärmer und Schwätzer mit Freude am Fabulieren erlangte er Weltruhm. Mit einer Meerschaumpfeife im Mund und einem Glas Punsch in der Hand gab Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720–1797) in geselliger Runde gerne abenteuerliche Geschichten aus seiner Zeit im russischen Regiment zum Besten, die er mit überbordender Fantasie auszuschmücken wusste. Als Schwärmer und Schwätzer mit uferloser Freude am Fabulieren, der in seinen märchenhaft ausgeweiteten Erzählungen Traum von Wirklichkeit nicht immer zu unterscheiden wusste, erlangte er Weltruhm. Seine Geschichten kennt heute noch jedes Kind - es gibt in rund 50 Sprachen übersetzte Bücher, liebevoll illustrierte Bildergeschichten und viel beachtete Filme. Die Erzählungen speisten sich aus dessen Lebensweg und den Erlebnissen auf seinen Reisen und während seiner Militärzeit. Einige davon erlebte er vermutlich in Dunte im heutigen Lettland. Dort hatte Münchhausen einst die Liebe seines Lebens gefunden. Bei einem Jagd-Ausflug in dem nur einen Kanonenkugelritt von Riga entfernten Ort hatte er seine erste Frau Jacobine von Dunten kennengelernt, die Tochter eines deutsch-baltischen Landadeligen. Münchhausen war seinerzeit als Offizier in der damals zum Russischen Zarenreich gehörenden Garnisonsstadt Riga stationiert. Als junger Adelsspross und Edelknabe am Hof des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel hatte er zuvor das Abenteuer gesucht. Mit 17 Jahren ging er im Gefolge des herzoglichen Hofes nach Sankt Petersburg, nahm am russisch-türkischen Krieg teil und diente später von 1740 an als Soldat der Zarenarmee in Riga. Getraut wurde das Paar am 2. Februar 1744 in der Kirche von Pernigel, dem heutigen Liepupe nahe Dunte, an deren Turmspitze Münchhausen an einem schneereichen Winterabend einmal sein Pferd angebunden haben will. Nachdem die weiße Pracht über Nacht schmolz, musste er seinen Gaul am nächsten Morgen mit einem gezielten Schuss vom zuvor meterhoch mit Schnee bedeckten Kirchturm herunterholen – so zumindest schildert es Münchhausen in seinen “Wunderbaren Reisen zu Wasser und zu Lande„. Auch andere seiner berühmten Abenteuer soll der Erzähler der “Münchhausiaden„ in Dunte erlebt haben, wo er sechs Jahre auf dem livländischen Gutshof der Familie seiner Frau gelebt hat. In Andenken daran wurde am 32. Mai 2005 dort die “Minhauzena pasaule„ – lettisch für “Münchhausens Welt – im wieder aufgebauten Gutshaus eingerichtet. Es ist das zweite Münchhausen-Museum der Welt – nach jenem in seinem niedersächsischen Geburts- und Sterbeort Bodenwerder.

Mehr als 50 Jahre hat sich der Kunsthistoriker Imants Lancmanis der Restaurierung des größten Barockschlosses im Baltikum gewidmet. Es ist sein Lebenswerk.

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