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Rede der Botschafterin Gudrun Masloch anlässlich des Tages der Deutschen Einheit
Sehr geehrte Herren Präsidenten,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete,
Exzellenzen, liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Landsleute,
am 3. Oktober 1990 feierten hunderttausende Berliner, Gäste sowie die höchsten Vertreter der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik am Berliner Reichstag die Wiedervereinigung. Um Mitternacht erklang die Freiheitsglocke – und die Teilung unseres Landes war nach 45 Jahren endlich beendet.
Am Reichstag wurde das bis in die frühen Morgenstunden gefeiert. Das für viele Menschen schmerzhafte Kapitel der deutschen Geschichte – die Teilung Deutschlands – war überwunden.
Die Deutsche Einheit wurde Wirklichkeit – durch eine friedliche Revolution im Osten, durch demokratische Entscheidungen und vertragliche Übereinkünfte in Ost und West. Bundeskanzler Helmut Kohl richtete damals eine Botschaft an die Regierungen in aller Welt: „Unser Land will mit seiner wiedergewonnenen Freiheit dem Frieden in der Welt dienen und die Einigung Europas voranbringen.“
Ich erinnere mich noch gut an den Staatsakt zur Deutschen Wiedervereinigung – wir saßen im Familienkreis vor dem Fernsehbildschirm in Kassel. Die Worte von Bundespräsident Richard von Weizsäcker klingen mir noch in den Ohren: „Wir erleben eine der sehr seltenen historischen Phasen, in denen wirklich etwas zum Guten verändert werden kann. Lassen Sie uns keinen Augenblick vergessen, was dies für uns bedeutet.“
Erst heute, mehr als eine Generation später, empfinde ich aus tiefstem Herzen, was er uns damals sagen wollte.
Noch bei meiner Abiturprüfung im Juni 1989 hatte ich auf die Frage, ob es ein wiedervereinigtes Deutschland geben könne, geantwortet: „nach all den Jahren der Trennung ist das wohl unwahrscheinlich“.
Mit dieser Einstellung verließ ich Deutschland für ein Auslandsjahr in den USA. Dort rief mich wenige Monate später meine deutsche Freundin ganz aufgeregt an: „Du musst sofort den Fernseher anstellen, die Leute in Berlin tanzen auf der Mauer, die Mauer ist auf!“ In einer unfassbaren Wendung der Geschichte waren am 9. November 1989 die Grenzübergänge in Berlin geöffnet worden und die Menschen aus Ost und West lagen sich in den Armen. Wie sehr hatte ich mich getäuscht!
Im Sommer 1990 kam ich dann in ein verändertes Land zurück. Die Wiedervereinigung war in einer rasanten Entwicklung vorangeschritten. Noch Anfang 1990 war alles offen, doch die Volkskammerwahlen im März stellten klar die Weichen für eine schnelle Wiedervereinigung. So wurde schließlich schon am 1. Juli 1990 die D-Mark Zahlungsmittel in der DDR.
Gesellschaftlich waren es Monate des Kennenlernens und großer Neugier. Meine Familie traf sich mit alten Freunden aus Sachsen, mit denen wir über Jahrzehnte nur per Brief in Kontakt gestanden hatten. In der neuen Mitte Deutschlands wurden plötzlich junge Menschen aus Thüringen, Sachsen-Anhalt und Hessen zu Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben. Auch im Studentenwohnheim in Göttingen teilten sich Kommilitoninnen und Kommilitonen aus Ost und West die Flure. Wir lernten Teile unserer Heimat kennen, die wir über Jahrzehnte nur aus Büchern kannten. Für mich waren das damals Erfurt, Eisenach und auch Ost-Berlin.
Ich habe die Wiedervereinigung deshalb als ein Quell neuer Möglichkeiten wahrgenommen. Heute weiß ich, sie war eine der besten und glücklichsten Wendungen, die uns Deutschen widerfahren konnte. Trotz aller Unterschiede, die es immer noch zwischen Ost– und Westdeutschen gibt, auch in der Wahrnehmung. Ich blicke voller Dankbarkeit auf die Ereignisse von 1989 und 1990 zurück.
Mit der Einheit Deutschlands fiel ein Teil des Eisernen Vorhangs in Europa. Sie war aber alles andere als selbstverständlich. Insbesondere wäre sie ohne das Engagement unserer Nachbarn in Nord-, Mittel- und Osteuropa wohl undenkbar gewesen. Überall gab es mutige Menschen, die mit ihrem Einsatz für Freiheit und nationale Selbstbestimmung die Teilung Europas überwinden halfen. Ich denke ganz besonders an den „Baltischen Weg“, dessen 35. Jahrestag wir vor Kurzem hier in Lettland und den anderen baltischen Staaten feiern konnten.
Es folgten Jahre des Aufbruchs und voller Optimismus, trotz aller Herausforderungen und Schwierigkeiten. Wir glaubten an das friedliche Zusammenleben, in Vielfalt geeint in Europa und die meisten von uns erfuhren eine große Friedensdividende.
Heute sind wir um einiges nachdenklicher:
Im Inneren erleben wir in vielen Fragen eine starke und zunehmende Polarisierung, die sich auch Gegner unserer freiheitlich demokratischen Ordnungen zunutze machen wollen. Den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu wahren und zu stärken, bleibt daher eine Aufgabe, die uns alle fordert. Wir müssen wieder lernen, einander noch aufmerksamer zuzuhören, aufeinander zu achten, unsere Demokratie zu pflegen und zu schützen.
Ganz besonders verstörend ist aber, dass der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf unsere Friedensordnung in Europa. Leid und Trauer erfüllen unsere Herzen ebenso wie Sorge um die Zukunft.
In unseren Herzen tragen wir aber auch die Erinnerung an den Einsatz der Menschen in Ostdeutschland und anderen europäischen Staaten für Freiheit und Unabhängigkeit in unseren Herzen. Und auch deshalb unterstützen wir die Ukraine in ihrem Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit. Wie Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock nicht müde werden zu betonen „as long as it takes“.
Meine Damen und Herren, es sind schwere Zeiten, aber ich bin davon überzeugt, dass die Veränderungen der Zeit von vor 34 Jahren, dass das, was über Jahre hinweg niemand mehr zu hoffen wagte, uns eines lehrt: wir müssen uns für unsere Zukunft einsetzen und mit Zuversicht daran arbeiten, auch wenn einem dem Mut manchmal sinkt. Das Wichtigste damals wie heute bleibt: Wir halten zusammen, im Inneren wie im Äußeren. Als Deutsche, Europäerinnen und Europäer, Verbündete, als Demokratinnen und Demokraten. Das gilt im Übrigen auch für die Zusammenarbeit der Nationen der Welt in wichtigen Fragen für die Zukunft. Der einzige Weg, Demokratie und Frieden für die Zukunft zu sichern, ist daran zu glauben und sie nach Kräften gemeinsam zu gestalten. So wie es Deutsche und Letten seit mehr als 30 Jahren tun.
Deshalb empfinde ich auch tiefe Dankbarkeit, für die große freundschaftliche Verbundenheit zwischen der Republik Lettland und dem wiedervereinigten Deutschland. Diese Partnerschaft liegt uns ganz besonders am Herzen, gerade im Wissen um die nicht einfache Geschichte zwischen unseren beiden Ländern. Wir sind stolz und glücklich, heute Seite and Seite mit Ihnen zu stehen - als gleichberechtigte Partner und Verbündete, in der Europäischen Union wie in der NATO, jetzt und in der Zukunft.
Lassen Sie uns darauf unser Glas erheben und gemeinsam anstoßen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen sehr, dass Sie unserer Einladung zum Tag der Deutschen Einheit gefolgt sind. Ich wünsche uns nun ein unbeschwertes Fest. Lassen Sie mich aber noch dem wundervollen Chor des staatlichen deutschen Gymnasiums Riga danken. Sie haben wirklich zauberhaft gesungen! Die Schülerinnen und Schüler werden uns noch zwei weitere Kostproben ihres Könnens darbieten und ich verspreche Ihnen, dass dies völlig unpolitisch gemeint ist: „Du, Du liegst mir am Herzen“ und „Mein kleiner grüner Kaktus“. Sie dürfen gerne mitsingen, egal in welcher Sprache!