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Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich des Staatsbanketts gegeben zu Ehren des Staatspräsidenten der Republik Lettland am 21. Februar 2019 in Bellevue

21.02.2019, Berlin: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r) empfängt Raimonds Vejonis, Präsident von Lettland, zu einem Staatsbesuch vor dem Schloss Bellevue. Foto: Wolfgang Kumm/dpa, © dpa
„Das Schlimme an manchen Rednern ist, dass sie oft nicht sagen, wovon sie sprechen...“.
Ich nehme mir diese Mahnung von Heinz Erhardt zu Herzen und beginne deshalb mit dem Wichtigsten: Lieber Präsident Vējonis, liebe Frau Vējone, wie schön, dass Sie zu einem Staatsbesuch aus Anlass der hundertjährigen Unabhängigkeit Lettlands nach Deutschland gekommen sind – herzlich willkommen im Schloss Bellevue!
In den vergangenen Jahren war ich neun Mal in Riga – sieben Mal als Außenminister und bereits zwei Mal als Bundespräsident. In diesen vielen Reisen drückt sich nicht nur die enge kulturelle und politische Verbundenheit unserer Länder aus, sondern auch meine ganz persönliche Wertschätzung für und Freundschaft mit Lettland und auch mit Ihnen persönlich. Ich möchte mich bei Ihnen, lieber Präsident Vējonis, für die große Gastfreundschaft bedanken, die Sie mir zuteilwerden ließen. Und ich danke Ihnen für den wichtigen Austausch, den unsere Gruppe der nicht-exekutiven Staatspräsidenten unter Ihrem Vorsitz in Riga führen konnte. Beides, die Gastfreundschaft und den Austausch, wollen wir in diesen Tagen erwidern.
Das Zitat von Heinz Erhardt zu Beginn war nicht zufällig gewählt. Der große deutsche Humorist war Deutsch-Balte, er wurde 1909 in Riga geboren. Sein Großvater Jakob war dort Bürgermeister, sein Onkel Robert wurde 1919 Finanzminister der jungen Republik.
In Erhardts trockenem Humor spiegelt sich auch manches von der Lebensphilosophie Ihrer Landsleute, lieber Präsident Vējonis. Selbst in den schwierigsten Stunden der Geschichte Ihres Landes bewahrten diese sich ihren Optimismus und unbeirrbaren Freiheitswillen.
So wie der Schriftsteller Jānis Jaunsudrabiņš. Wie hunderttausende Letten ist er während der sowjetischen Besatzung geflohen. Wie viele andere hatte er hier in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Bis zu seinem Tod 1962 lebte er mit seiner Frau Nāte im westfälischen Körbecke.
„Erzähl doch was Lustiges“, sagte Nāte, als sie eines Abends zusammensaßen. „Gut“, antwortete Jānis, „ich werde Dir erzählen, wie wir unser Zuhause verließen“. Seine Frau konnte sich an nichts Unbeschwertes auf der Flucht erinnern, aber Jānis entgegnete, dass man sogar unter widrigsten Umständen auf etwas Heiteres stoßen könne. Daraufhin Nāte: „Nun erzähle schon […]. Ich bin neugierig […], wie man aus einer Zwiebel Marmelade kochen kann“
Aus Zwiebeln Marmelade kochen – das scheinbar Unmögliche möglich machen – das scheint eine lettische Tugend zu sein!
Dass diese Tugend gebraucht wurde, dafür tragen wir Deutsche große Verantwortung. Denn: Am 23. August vor 80 Jahren besiegelte der Hitler-Stalin-Pakt das Ende der lettischen Staatlichkeit. Wer hätte es für möglich gehalten, dass 50 Jahre später, am 23. August 1989 die Letten und ihre baltischen Nachbarn in einer „Kette der Freiheit“ den Abgesang auf die Unfreiheit anstimmen? „Wachet auf, ihr baltischen Länder“, sangen hunderttausende Menschen und erkämpften sich damit friedlich die Unabhängigkeit.
Wir sind dankbar für die enge und vertrauensvolle Partnerschaft, die seitdem zwischen unseren Ländern gewachsen ist. Wir haben unser Schicksal in der Europäischen Union miteinander verbunden. Und wir stehen im Atlantischen Bündnis gemeinsam für die Sicherheit des anderen ein: Lettlands Sicherheit und seine territoriale Integrität sind unsere Verpflichtung!
Wir stehen in Europa und als Demokratien vor neuen Herausforderungen. Überzeugende Antworten darauf werden heute genauso in Riga gesucht – und gefunden – wie in Berlin oder in Paris und Brüssel. Lettland mag am östlichen Rand der Europäischen Union liegen, aber für uns gehört es zum Herzen Europas. Ihr Land, Herr Präsident, ist uns nicht nur wichtig. Es ist uns nah. Dazu haben Sie ganz persönlich in den Jahren Ihrer Amtszeit viel beigetragen. Dafür möchte ich Ihnen an diesem Abend danken!
Unter den Gästen hier im Saal sind Deutschbalten, die um die vielhundertjährigen kulturellen Bindungen zwischen unseren Ländern wissen. Viele von Ihnen setzen sich dafür ein, diese Bande zu erhalten und noch fester zu knüpfen.
Bei einer früheren Reise nach Riga hatten mich deutsch-baltische Kulturschaffende begleitet, darunter der Architekt Meinhard von Gerkan. Am Ende eines langen Tages sagte er zu mir: „Ich habe in der Nähe ein Haus erbaut, auf das ich wirklich stolz bin, ich bin ja hier in Riga geboren.“ Also sind wir spontan dort hingefahren. Von Gerkan führte uns durch sein Werk, Sten Nadolny las aus „Die Entdeckung der Langsamkeit“ und der litauische Cellist David Geringas entführte uns in sphärische Klangwelten. Es war ein magischer Abend!
An diesem Abend habe ich die Macht der Kultur gespürt, zwischen Ländern und Menschen tiefe Bande zu knüpfen. Deswegen freue ich mich auch besonders auf einen wunderbaren Abend am Sonntag, wenn uns die lettische Organistin Iveta Apkalna in der Elbphilharmonie begeistern wird.
Ich wünsche Ihnen, Herr Präsident, und Ihrer Frau gute und erfüllte Tage in Deutschland.
Lassen Sie uns das Glas erheben auf Präsident Vējonis, auf Frau Vējone und auf die deutsch-lettische Freundschaft!
Herzlichen Dank!